Vom Home­of­fice zum Offi­ce­home: Gast­au­tor Michael Groß über die Digi­tal Working Culture

28. Juli 2021

Künf­tig wird die Zusam­men­ar­beit in vie­len Unter­neh­men hybrid sein. Wir kön­nen im Home­of­fice arbei­ten und wol­len ins Offi­ce­home gehen. Offi­ce­home bedeu­tet, dass Büros mehr benö­ti­gen als nur neue Tech­nik und Aus­stat­tung. Ohne die Ent­wick­lung neuer For­men der Füh­rung und Zusam­men­ar­beit wer­den die Inves­ti­tio­nen in die Infra­struk­tur nicht die erwar­tete Wir­kung erzie­len: Selbst­be­stimm­tes Arbei­ten braucht in Unter­neh­men eine „Digi­tal Working Cul­ture“. Meint der ehe­ma­lige Olym­pia­sie­ger und erfah­rene Change Mana­ger Dr. Michael Groß in sei­nem Gastbeitrag. 

So kann ich nicht arbei­ten. Ich weiß nicht mehr, was pas­siert. Nie­mand muss mehr an mir vor­bei, um eine Ent­schei­dung zu bekom­men.“ Das war die Reak­tion nach einer Woche arbei­ten ohne eige­nen Arbeits­platz. Dafür hatte bei einem klas­si­schen deut­schen Mit­tel­ständ­ler das neue Büro­kon­zept mit „non-ter­ri­to­ria­lem Arbei­ten“ gesorgt. Wer hatte so schnell und scharf geur­teilt? Nicht der Geschäfts­füh­rer, auch keine andere Füh­rungs­kraft, jedoch eine sehr wich­tige Per­son in der Orga­ni­sa­tion: die Chef-Sekre­tä­rin. Ihre Posi­tion als infor­melle „Spinne im Netz“ war verschwunden.

Viele Kon­zepte für „agile Büro­struk­tu­ren“ oder den „digi­ta­len Work­place“ besit­zen eine ele­men­tare Lücke: Die bestehende Kul­tur einer Orga­ni­sa­tion fin­det kei­nen Platz, weder in der Kon­zep­tion noch in der Umset­zung. Es geht nicht darum, in der Ver­gan­gen­heit hän­gen zu blei­ben. Es geht darum, eine Brü­cke in die Zukunft zu schla­gen. Nur so kön­nen Räume für eine neue, nach­hal­tig wirk­same Kul­tur ent­ste­hen, die „Digi­tal Working Cul­ture“. Und eine Kul­tur besteht aus mehr Ele­men­ten, als unsere Zusam­men­ar­beit zu digi­ta­li­sie­ren. Dort war der Schub wäh­rend der Corona-Zeit gigan­tisch, wie Zah­len von Micro­soft zei­gen. So nahm laut „Micro­soft Work Index 2021“ Die wöchent­li­che Mee­ting­zeit von Teams-Nut­zern seit Beginn der Corona-Krise um 148 Pro­zent zu – und soll wei­ter stei­gen. Ähn­li­ches belegt auch eine Unter­su­chung des Bit­kom: In einer im Januar 2021 in Deutsch­land durch­ge­führ­ten Umfrage zum Nut­zungs­ver­hal­ten von pri­va­ten Video­te­le­fo­na­ten gaben 19 Pro­zent der Befrag­ten an, wäh­rend der Corona-Krise fünf bis neun Stun­den pro Woche Video­ge­sprä­che geführt zu haben. Im Ver­gleich dazu waren es vor der Corona-Pan­de­mie drei Pro­zent der Befragten.

Nutzung von Videotelefonie vor und während der Corona-Pandemie in Deutschland 2021

Nut­zung von Video­te­le­fo­nie vor und wäh­rend der Corona-Pan­de­mie in Deutsch­land 2021

Keine Zukunft ohne Herkunft

Die bestehende Kul­tur in allen Facet­ten zu bewer­ten, das ist nicht not­wen­dig. Die ent­schei­den­den Hin­der­nisse für die „Digi­tal Working Cul­ture“ sind zu ermit­teln. Wesent­li­che Grund­an­nah­men einer Kul­tur schla­gen sofort durch. Nicht nur Raum­struk­tu­ren, auch Macht­po­si­tio­nen ver­än­dern sich. Pri­va­tes wird öffent­lich und auch umge­kehrt. Alte Gren­zen wer­den abge­baut und neue Gren­zen geschaf­fen, die nicht immer freu­dig akzep­tiert werden.

Die „Cul­tu­ral Due Dili­gence“ lie­fert genau diese Hin­weise, wel­che Grund­an­nah­men för­der­lich oder hin­der­lich sein wer­den bei einer geplan­ten Ver­än­de­rung. Wich­tig ist der Dia­log mit Füh­rungs­kräf­ten und Mit­ar­bei­tern, um die Grund­an­nah­men frei­zu­le­gen. Denn ein­zelne Per­so­nen kön­nen nicht sagen, wie ein­zelne Ver­hal­tens­wei­sen zustande kom­men. Typisch sind diese Aus­sa­gen: „Das machen wir hier so“ oder „So macht man sich bei uns keine Freunde“. In Tie­fen­in­ter­views und Fokus­grup­pen kann zu den Ursa­chen vor­ge­drun­gen wer­den. In Puls­be­fra­gun­gen aller Mit­ar­bei­ter wird die kol­lek­tive Rele­vanz kri­ti­scher Aspekte überprüft.

Die Ergeb­nisse wer­den mit vor­han­de­nen Infor­ma­tio­nen dar­über zusam­men­ge­führt, wie eine Orga­ni­sa­tion funk­tio­niert. Dazu zählt der Blick auf Struk­tu­ren und Abläufe, Sym­bole und Werte, interne Medien und das Ver­hal­ten, wie zum Bei­spiel Mee­ting-Rituale oder die E‑Mail-Pra­xis. Nicht zuletzt wird der Soll­zu­stand ver­gli­chen. Die Kern­fra­gen lau­ten: Was wol­len wir künf­tig warum wie tun? Wel­ches Pro­blem lösen wir dadurch? Und was sind die unab­weis­ba­ren Vor­teile? Denn jede „Digi­tal Working Cul­ture“ ist eine Kom­bi­na­tion aus Selbst­be­stim­mung, Selbst­ver­sor­gung und auch Selbstverwirklichung.

Digi­tal Working Cul­ture etablieren

Jede New-Work-Lösung, die ich gemein­sam mit mei­nen Kun­den ent­wi­ckele, betrach­tet die ver­schie­de­nen Aspekte und Anfor­de­run­gen. Häu­fig ent­steht ein schritt­wei­ses Vor­ge­hen, damit Füh­rungs­kräfte und Mit­ar­bei­ter Akzep­tanz und Ver­trauen in die neue Arbeits­welt aufbauen.

Raum für neues Arbei­ten schaf­fen: Kul­tur der Koope­ra­tion und Ver­net­zung

Meis­tens sind mit sehr über­schau­ba­rem Auf­wand – im Ver­gleich zu den Inves­ti­tio­nen in die Infra­struk­tur – die Kon­flikt­po­ten­ziale zu bestim­men. Dar­aus las­sen sich die not­wen­di­gen Akti­vi­tä­ten im Change Manage­ment und Talent Manage­ment bestim­men. Die Kom­mu­ni­ka­tion und der Dia­log mit den betei­lig­ten Füh­rungs­kräf­ten und Mit­ar­bei­tern ist dabei ein Ele­ment, jedoch lange nicht alles zur Ein­füh­rung der „Digi­tal Working Culture“.

In vie­len Pro­jek­ten hat sich gezeigt, dass die Fähig­kei­ten der Betei­lig­ten nach­hal­tig ent­wi­ckelt und unter­stützt wer­den soll­ten. Zum Bei­spiel sind Füh­rungs­kräfte zu befä­hi­gen, indi­rekt mit ihren Teams zu arbei­ten und wei­tere Rol­len zu über­neh­men. Dazu zäh­len der Impuls­ge­ber für neue Arbeits­for­men oder der Brü­cken­bauer in agile Arbeits­wei­sen zu sein. Das Fest­hal­ten an einer tra­di­tio­nel­len hier­ar­chi­schen Infor­ma­ti­ons­po­li­tik unter­läuft eine „Digi­tal Working Culture“.

Pla­nen, Han­deln und Ler­nen verbinden

Für eine steile und erfolg­rei­che Lern­kurve bie­tet sich eine bewährte Methode an: das „Action Lear­ning“. Denn diese Methode ver­an­kert die fort­lau­fen­den und wech­seln­den Ver­än­de­rungs- und Lern­pro­zesse – und nimmt so nach­hal­tig posi­tiv Ein­fluss auf die Kul­tur. Die Module im „Action Lear­ning“ wer­den als Gan­zes und in Tei­len, je nach Anlass und Bedarf, zum Bei­spiel durch die Kom­ple­xi­tät der Auf­ga­ben oder Zahl der betei­lig­ten Abtei­lun­gen, ein­ge­setzt. Drei For­mate ver­knüp­fen das wei­tere Pla­nen, fort­lau­fende Han­deln und Lernen.

  • Design-Team: Hier tref­fen sich alle Betei­lig­ten und Betrof­fe­nen der Berei­che oder Stand­orte. Hier wird vor dem Start neuer Akti­vi­tä­ten, das vor­han­dene Wis­sen über­prüft und der Bedarf zur Ergän­zung ermit­telt. Auf die­ser Basis wer­den der Inhalt und das Vor­ge­hen der Ver­än­de­run­gen bestimmt. In der Folge wer­den der Ablauf gesteu­ert, die „Sets“ koor­di­niert, Arbeits­auf­träge ver­teilt, geprüft und über­ar­bei­tet und die Lern­fort­schritte ver­folgt. Das Team küm­mert sich auch um Doku­men­ta­tion und Kommunikation.
  • Sets: In klei­nen Grup­pen, zum Bei­spiel in Fach­be­rei­chen oder bei Teil­pro­jek­ten, wer­den die kon­kre­ten Her­aus­for­de­run­gen, die sich aus der Auf­gabe erge­ben, bestimmt und die not­wen­di­gen Lösun­gen durch Kom­bi­na­tion von Wis­sen und Erfah­rung ent­wi­ckelt. Expli­zit ist der „Blick über den Tel­ler­rand“ durch Ein­ho­len wei­te­rer Exper­tise gewünscht, zum Bei­spiel durch neue Bezie­hun­gen zu ande­ren Abtei­lun­gen oder exter­nen Dienstleitern.
  • Qua­li­täts­zir­kel: Diese mode­rier­ten, struk­tu­rier­ten Feed­back-Run­den von maxi­mal zwei Stun­den unter­stüt­zen das Design-Team und die Sets durch den Blick von Außen, um den Erfolg für das kon­krete Vor­ha­ben und das gesamte Unter­neh­men zu sichern. Der Refle­xi­ons­pro­zess legt frei, wo Lern­ergeb­nisse erzielt wor­den sind, wo Nach­hol­be­darf besteht und wie die­ser ange­gan­gen wer­den kann.

Kom­bi­niert wer­den diese drei Instru­mente mit über­grei­fen­den Maß­nah­men zur Bewer­tung von Ergeb­nis­sen, wie zum Bei­spiel Puls­be­fra­gun­gen oder auch die qua­li­ta­ti­ven Reso­nan­zen in den inter­nen Platt­for­men zur Kol­la­bo­ra­tion. Diese Aus­wer­tung und Bewer­tung ist essen­zi­ell für eine „Digi­tal Working Cul­ture“. Weil mehr denn je gilt: Still­stand bedeu­tet Rückschritt.

Über den Autor Dr. Michael Groß

Dr. Michael Groß wurde bekannt als Olym­pia­sie­ger im Schwim­men. Seit 2001 ist er geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter der Groß & Cie. GmbH, König­stein im Tau­nus. Im Change Manage­ment steht der erfolg­rei­che Wan­del in Unter­neh­men im Fokus, zum Bei­spiel bei Post Mer­ger Inte­gra­tio­nen und Restruk­tu­rie­run­gen. Im Talent Manage­ment wer­den die Kom­pe­ten­zen von Unter­neh­men ent­wi­ckelt, zum Bei­spiel durch das Trai­ning der Füh­rungs­kräfte. Groß besitzt einen Lehr­auf­trag an der Uni­ver­si­tät Frank­furt am Main zum Thema „Digi­tal Trans­for­ma­tion & Lea­der­ship“. Zudem ist er Autor von Fach­bü­chern, 2019 erschien das “Digi­tal Lea­der Gamebook“.

Home­of­fice, Office oder hybrid?

Wie das Infor­ma­ti­ons­ma­nag­ment hilft eine hybride Arbeits­welt in Unter­neh­men zu rea­li­se­ren, ver­ra­ten wir in unse­rem kos­ten­freien E‑Book “Büro vs. Home­of­fice”. Inter­es­sante Ein­bli­cke in die Büro­ar­beits­welt von heute und mor­gen geben wir auch regel­mä­ßig in unse­rem Live­stream-For­mat Kyocera Insights. Im Gespräch mit Exper­ten aus Wirt­schaft und Wis­sen­schaft dis­ku­tie­ren wir darin regel­mä­ßig über die Her­aus­for­de­run­gen, die Mega­trends wie Digi­ta­li­sie­rung, New Work oder Nach­hal­tig­keit mit sich brin­gen und stel­len Lösun­gen vor. Alle Fol­gen und Ter­mine auf www.insights.kyocera.de. 

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