Mitarbeiter und auch immer mehr Führungskräfte etablierter Unternehmen blicken oft neidisch auf die so freie und weniger regulierte Start-up-Szene. Der Selfmademan in Krawatte und Anzug muss den Business-Vorbildern der heutigen Zeit weichen: digitalen Nomaden, frei denkenden und arbeitenden Nerds sowie kreativen Machern. Aber wie lässt sich diese geänderte Denkweise bei etablierten Mittelständlern strategisch implementieren? Wie schafft man eine für flexibles Arbeiten notwendige Infrastruktur? Die Bloggerin (www.digitalisierung-jetzt.de) und Unternehmerin Carolin Desirée Töpfer geht diesen Fragen in ihrem Gastbeitrag nach und rät zu einer radikalen Datenstrategie.
Fasziniert saß ich letztens im Asia-Snack-Restaurant und habe sogar beinahe mein Essen kalt werden lassen. Stattdessen habe ich mir lieber angeschaut, wie die Prozesse in der offenen Küche funktionieren: Die Dame an der Kasse nahm die Bestellungen auf Deutsch an, drehte sich um, rief den Kollegen an den Töpfen und Pfannen etwas in einer anderen Sprache zu – und alles funktionierte reibungslos. Innerhalb von nicht einmal 5 Minuten erhielt jeder Besteller sein frisch zubereitetes Essen.
Ähnlich funktioniert die Zusammenarbeit in vielen anderen mittelständischen Unternehmen. Gewisse Kommunikationswege haben sich mit der Zeit eingespielt – fern aller dokumentierten Prozesse. Schließlich wissen vor allem die langjährigen Mitarbeiter, auf wen man sich verlassen kann und wie man schnell zum Ziel kommt. Schwierig wird diese Art der Kommunikation für alle, die neu dazukommen, oder Kollegen, die von zuhause oder ganz woanders arbeiten möchten. Denn wer nicht vor Ort ist, wird leicht vergessen. Leider nicht nur von Kollegen, sondern auch vom Chef.
Anwesenheitspflicht als Karrierefaktor?
Immer wieder belegen Studien, dass vor allem Anwesenheit als wichtiger Karrierefaktor gilt. Dabei sollten Unternehmen es längst besser wissen. Mitarbeiter, die anwesend sind, sind nicht unbedingt auch produktiv, kreativ und innovativ. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: ganz im Gegenteil. Ich habe meine besten Ideen meistens nicht am Schreibtisch, sondern auf Reisen, befeuert durch interessante Veranstaltungen und spannende persönliche Begegnungen.
Diese Aktivitäten, die mir so viel Inspiration bringen, sind für manche Chefs älterer Generationen aber auch schon hart an der Grenze dessen, was man noch als Arbeit bezeichnen darf. Besonders wir Deutschen machen es uns manchmal schwer, wenn es um den Spaß bei der Arbeit geht. Das hindert uns gleichzeitig daran, Unternehmen aus einem neuen und zukunftsorientierten Blickwinkel zu betrachten.
Mehr Freiheit wagen
Stellen wir uns einmal vor, ein Unternehmen hätte neben seinem Geschäftszweck auch das Ziel, alle Mitarbeiter – so individuell ihre Wünsche sind – möglichst glücklich zu machen. Jeder soll Spaß bei der Arbeit haben und niemand mehr Aufgaben erledigen müssen, die Frust verbreiten und den jeweiligen Mitarbeiter von fachlichen und wertschöpfenden Tätigkeiten abhalten.
In meinen Workshops steige ich tatsächlich häufig mit Wunschrunden in die komplexen Themen der IT-Infrastruktur ein. Und erstaunlicherweise hat noch niemand den Wunsch geäußert, nicht mehr arbeiten zu müssen. Vielmehr wissen Mitarbeiter ganz genau, wie man durch den Einsatz zeitgemäßer technischer Lösungen ihre Motivation und damit ihre Produktivität enorm steigern könnte.
Flexibles Arbeiten bedingt Wissensmanagement
Dazu müssten Unternehmen sich aber Ansätzen bedienen, die eigentlich eher in der Freizeit zuhause sind. Sie müssten sich zum Beispiel an der Nutzerfreundlichkeit von Onlineshops orientieren, wenn es um Tools für interne administrative Prozesse geht. Sie müssten weniger auf den Desktop-PC oder Laptop und mehr auf das Smartphone setzen, weil es für die meisten Menschen eh schon ein gefühltes zusätzliches Körperteil ist und die Arbeit von unterwegs mit mobil optimierten Websites und Datenbanken einfach viel mehr Freude bringt, als immer nur am Schreibtisch Zugriff auf das Unternehmenswissen zu haben. Und sie müssten zulassen, dass Mitarbeiter Technik und Plattformen, die vielleicht eher nach Pausen-Entertainment aussehen, auch in der Arbeitszeit nutzen dürfen.
Was haben die drei Ansätze gemeinsam? Hinter all den genannten Beispielen steckt nichts anderes als der radikale Wandel hin zum datenbasierten Arbeiten. Im besten Fall mit bereits bereinigten und entsprechend vollständig vorhandenen Daten. Eine enorme Herausforderung für etablierte Unternehmen, denn dort wird bisher mit unvollständigen Altdaten gearbeitet. Außerdem fehlt es an einigen Stellen noch an der Zustimmung zu absolut transparenten Prozessen. Mitarbeiter können sich mit Hoheitswissen und „Das haben wir schon immer so gemacht“ nicht mehr profilieren. In der neuen Welt gilt: Informationen, die nicht verfügbar sind, tragen nicht zum Umsatz bei.
Wertschöpfung durch Datenstrategie und Weiterbildung
Viele Unternehmen wissen gar nicht, welche Daten wertvoll sind und bisher vielleicht noch gar nicht entsprechend gesammelt werden und welche einfach mal ausgemistet werden sollten. Gerade, weil Datenspeicher in den letzten Jahrzehnten immer kleiner und günstiger geworden sind, wird meist alles gesammelt, was so anfällt. Das können auch schon mal zwanzig verschiedene Versionen einer PowerPoint-Präsentation sein oder doppelt und dreifach abgespeicherte Kundendaten mit unterschiedlicher Aktualität.
Wer sich zwischen Big Data und Wertschöpfung nicht verlieren will, braucht also erst eine passende Strategie, um dann den Wildwuchs im Datendschungel aufzuräumen und anschließend zielführend aufzuforsten – mit der Hilfe von Zukunftstechnologien, aber vor allem mit der Hilfe der eigenen Mitarbeiter. Denn Mensch-Maschinen-Interaktion beginnt schon beim Anschalten des Computers und macht sich auch beim Befüllen von einfachsten Datenbanken bemerkbar. Data Science, Machine Learning, Artificial Intelligence – alles erst möglich auf einer umfangreichen und weitgehend sauberen, sich kontinuierlich erneuernden Datenbasis.
Zutaten einer funktionierenden Datenstrategie
Teil einer funktionierenden Datenstrategie ist also nicht nur die technische Umsetzung. Vor allem die Beteiligung und Weiterbildung aller Mitarbeiter spielt eine entscheidende Rolle. Gerade in kritischen Bereichen wie zum Beispiel Datenschutz und IT-Sicherheit bringt es nichts, wenn nur ein paar Mitarbeiter Bescheid wissen. Die Grundlagen, um flexibles Arbeiten erfolgreich umzusetzen, müssen in jeden einzelnen Kopf.
Wenn dann alle auf dem gleichen Stand sind und neben dem Geschäftsziel auch das Ziel Zukunft verinnerlicht haben, können sich selbst die strengsten Vorgesetzten darauf verlassen, dass ihre Mitarbeiter auch außerhalb des Sichtfeldes produktiv zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Und wer möchte, kann ja trotzdem hin und wieder mal ins Büro fahren und mit den Kollegen einen Kaffee trinken. Denn mit Hilfe von zeitgemäßen digitalen Lösungen darf jeder in dem Umfeld arbeiten, das am besten zu den eigenen Wünschen passt.
Die Autorin
Carolin Desirée Töpfer ist Gründerin einer etwas anderen IT-Beratung. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen zu helfen, die technischen Grundlagen und komplexen Zusammenhänge der Digitalisierung zu verstehen, um selbst handeln zu können und sich nicht permanent in neue Abhängigkeiten zu begeben. Neben Tech Coachings für Führungskräfte, bietet sie auch Team Workshops an und ist regelmäßig als Rednerin auf der Bühne. Auf ihrem Blog Digitalisierung-jetzt.de schreibt sie über Themen rund um die Digitalisierung.