Alles, was sich digitalisieren lässt, wird auch irgendwann digitalisiert werden. Und alles, was sich vernetzen lässt, wird irgendwann vernetzt werden. In unserem Buch „Digitale Aufklärung” haben mein leider viel zu früh verstorbener Freund Ossi Urchs und ich diese beiden Binsenweisheiten ganz an den Anfang gestellt – denn seltsamerweise haben noch nicht alle verstanden, was das bedeutet.
Dabei digitalisieren und vernetzen wir uns und unsere Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten, nämlich seit das Internet in den 90ern über die deutsche Wirtschaft hereinbrach. Man sollte also meinen, dass Manager sie längst verinnerlicht haben und zielstrebig dabei sind, ihre Unternehmen in die digitale Neuzeit zu überführen.
Leider weit gefehlt! Wer ganz genau hinschaut, muss erstaunt feststellen, dass im deutschen Unternehmensalltag teilweise noch digitale Steinzeit herrscht. Wir verschicken immer noch Rechnungen auf Papier! Post wird ungeöffnet vom Büroboten durch die Gänge geschleppt! Es soll sogar noch Chefs geben, die sich ihre E‑Mails von der Sekretärin ausdrucken und mit der Postmappe vorlegen lassen. Statt digitale Vernetzung als Herausforderung anzunehmen und ihre oft völlig veralteten Geschäftsprozesse an die Neuzeit heranzuführen, handeln viele nach dem Motto: Nur nix Neues, bleiben wir schön beim Alten!
Freiräume schaffen
Jeder weiß, dass es dank E‑Mail, Laptops oder Smartphones und Internet im Grunde egal ist, wo der Wissensarbeiter heute seiner Beschäftigung nachgeht: im Büro oder im Home-Office, im Zug oder im nächsten Starbucks-Café und vielleicht sogar auf einer Bank im Park. Aber anstatt die Leute arbeiten zu lassen, wo und wann sie wollen, verlangen 75 Prozent der deutschen Arbeitgeber von allen Mitarbeitern ständige Präsenzpflicht im Büro, wie eine Studie des IT-Branchenverbands BITKOM ergeben hat.
Ja, Ausnahmen bestätigen die Regel. Microsoft hat in seinem neuen Münchner Hauptquartier die Regelarbeitszeit abgeschafft. Aber Tatsache ist: Deutsche Chefs misstrauen ihren Untergebenen! Sie glauben nicht, dass Menschen ohne Aufsicht produktiv sein können. Dass eine solche Einstellung in Wahrheit das Eingeständnis der eigenen Schwäche als Führungsverantwortlicher ist, ist solchen Vorgesetzten nicht beizubringen.
Weniger diskutieren, mehr machen
Nicht, dass sich große wie kleine Unternehmen in Deutschland nicht mit den Fragen der digitalen Zukunft beschäftigen würden. Nur: Es bleibt allzu oft beim Nachdenken, beim Diskutieren. 58 Prozent der Unternehmen in Deutschland haben sich einer Studie der Crisp Research AG zufolge bisher höchstens theoretisch mit der Digitalisierung ihres Geschäftsmodells beschäftigt. Ebenso viele befürchten laut einer Studie der Everton Group, dass sie nicht über genügend Ressourcen verfügen, um ihr Geschäft zu digitalisieren.
Schlagworte wie „Big Data”, „Social Media” und „Mobile Computing” sind schon seit Jahren in aller Munde und man könnte deshalb vielleicht meinen, die digitale Transformation sei vorrangig eine Frage der Technik. In Wirklichkeit ist sie eine Frage der Unternehmenskultur. Sie ist Chefsache – und wenn sich der Chef vor der Zukunft verschließt, nützt alle Technik nichts.
Doch auch auf die Mitarbeiter kommen Herausforderungen zu, für die die meisten nur schlecht oder überhaupt nicht gerüstet sind. Der autonome Mitarbeiter von morgen wird ein qualifizierter Mitarbeiter sein müssen. Für Mittelmaß ist in der digitalen Wirtschaft kein Platz. Ganze Berufsgruppen sind vom Aussterben bedroht, Tageszeitungsjournalisten, zum Beispiel, aber auch Briefträger, Zählerableser, Standbohrmaschinenarbeiter und Steuerbeamte. Sie alle stehen auf der Liste der „10 meistgefährdeten Jobs”, die das Time Magazine veröffentlicht hat. Jungen Menschen kann man nur raten, sich die Liste ganz genau anzusehen – und sich für einen Beruf mit Zukunft zu entscheiden.
Eine Frage der IT
Deutschland steht heute am digitalen Scheideweg, und die Gefahr ist tatsächlich groß, dass andere Länder, vor allem solche in der so genannten Dritten Welt, zu Deutschland aufschließen oder uns sogar überholen. Besonders besorgniserregend ist der viel zu schleppende Ausbau superschneller Internetverbindungen auf der Basis von Glasfasertechnik. Hier rangiert Deutschland einer Studie der OECD zufolge auf dem vorletzten Platz unter den entwickelten Volkswirtschaften mit einem Erschließungsgrad von gerade einmal 1,1 Prozent. Zum Vergleich: In Südkorea surfen fast 70 Prozent der Bevölkerung im Highspeed-Internet.
Was Unternehmen tun können/müssen
Was müssen Unternehmen tun, um den Zug in die digital transformierte Zukunft nicht zu verpassen? Ich denke, für den Anfang sind es vor allem drei Dinge:
- Die Vernetzung zu Ende führen. Schauen Sie die Prozesse und Abläufe in Ihren eigenen Unternehmen an und finden Sie heraus, wo es nicht weitergeht, wo Daten in Silos verstauben oder aufgrund von Format- oder Kompatibilitätsproblemen nicht fließen können. Ein Tipp: Wenn etwas, was bereits digitalisiert worden ist, ausgedruckt und woanders wieder eingegeben werden muss, sollten bei Ihnen die Alarmglocken schrillen!
- Lassen Sie Ihre Leute arbeiten, wann und wo sie wollen. Dazu müssen Chefs aber erst lernen, ergebnis- und teamorientiert zu führen. Die alten Hierarchien müssen weg! Ein Unternehmen muss heute wie ein Netzwerk funktionieren, und auch der Chef ist dort nur ein Knoten – ein wichtiger vielleicht, mit besonders vielen Verbindungen. Aber am Ende muss alles zusammenfließen.
- Mehr Mut! In Deutschland gibt es zu viel Angst – Angst vor einer falschen Entscheidung, Angst vor dem Scheitern. Dabei gehört Scheitern zum Leben dazu – wenn man bereit und in der Lage ist, aus eigenen Fehlern zu lernen, und sich davon nicht entmutigen lässt!
Kein Zweifel: Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen, wenn dieses Land nicht den Zug in die digitale Zukunft verpassen und als Wirtschaftsstandort in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen soll. Und es ist vor allem die IT, die bei der digitalen Transformation eine Vorreiterrolle für den Unternehmenserfolg spielen wird – oder nicht!